Iran, 01.01.2018
Lange sind wir noch aufgeblieben heute Nacht, haben ins neue Jahr rein gefeiert. Aber so wirklich fühlte es sich nicht nach Silvester an, kein Feuerwerk, kein anstoßen – nur ein paar Umarmungen und Bussi Bussi, wie es bei unseren französischen Hostel-Nachbarn eben üblich ist. Iran hat eine andere Zeitrechnung, erst Mitte März wird hier in das neue Jahr, 1397, gefeiert. Trotzdem war es spannend. Seit einigen Tagen sind zehntausende Menschen auf den Straßen, protestieren gegen die schlechte Wirtschaftslage und für politische Veränderung. In Teilen des Landes kam es zu Ausschreitungen. Einige Freunde aus Deutschland schrieben uns ob wir in Sicherheit sind und wie die Lage bei uns ist. Bis irgendwann das Internet landesweit abgestellt wurde und die einzigen Informationen über den Satellitenfernseher rein kamen.
Es ist bereits später Vormittag als wir langsam unsere Sachen packen. Hier in der Region gab es keine Ausschreitungen oder Demonstrationen, wir wollen also weiter, weiter an den Persischen Golf.
Ein Taxi bringt uns an den Stadtrand der Millionenstadt Shiraz. Fast 600km sind es bis zum Golf, wahrscheinlich wird es damit heute nichts mehr, aber wir versuchen es einfach. Jeder Meter in die richtige Richtung zählt.
Lange müssen wir nicht auf unsere erste Mitfahrgelegenheit warten. Fahrid und sein Bruder Omid nehmen uns ein Stück mit. Ich schätze sie beide auf Mitte 30, sie sind freundlich, ruhig, unaufdringlich und unterhaltsam. Die Kommunikation ist eine Mischung aus Englisch, Google-Translate und Hand und Fuß. Ein großer Salzsee der wie eine weiße Mondlandschaft aussieht zieht an uns vorbei. Ganz in der Ferne sieht man Wasser, aber hier am Rand fahren Autos auf der Kruste und Bagger schieben das Salz zu Hügeln zusammen. Fahrid hält extra für uns an, macht ein paar Fotos von uns und wir nehmen eine Hand voll Salz für die Nudeln am Abend mit (wahrscheinlich nicht sehr gesund so neben der Straße).
Es ist Nachmittag und die zwei Brüder laden uns in der nächsten Stadt zum Essen ein. Ein typisches Straßenlokal mit leicht erhöhten Plattformen auf denen es Teppiche und Kissen zum sitzen gibt. Ich zeige Omid noch unsere, auf Farsi übersetze, Erklärung dass wir Vegetarier sind bevor er bestellt. Da Vegetarismus in vielen Ländern kein wirkliches Konzept ist, steht dort in etwa: „Wir essen kein Fleisch, Huhn, Rind, Schwein und Fisch“. Omid nickt und kommt wenig später mit einem Lammspieß zurück – zu seiner Verteidigung: Lamm stand nicht auf der Liste – nicht weiter schlimm, er verdrückt einfach noch unseren Spieß und bestellt ein feines Auberginen Gericht für uns.
Gestärkt geht es weiter. Sie wollen uns noch etwas zeigen bevor sie uns kurz vor der Stadt Fasa absetzen werden. Wir fahren eine lange staubige Piste entlang. Die Landschaft hier ist karg und trocken. Unweit heben sich einige Berge aus Sandstein empor. Mitten in der Ödnis steht eine Ruine mit hohen Wänden und einer Kuppel. Dort steigen wir aus.
Es ist das Sarvestan Monument, wie wir von einer Englischen Informationstafel entnehmen können. Eine ziemlich gut erhaltene UNESCO Ruine aus dem fünften Jahrhundert unserer Zeitrechnung. Was der genaue Zweck dieses Gebäudes war, weiß man heute nicht mehr, man vermutet es könne sich um ein Jagdschloss gehandelt haben. Schwer vorstellbar dass man hier in der Wüste einmal jagen konnte. Es musste trotzdem ein wahrlich herrschaftliches Anwesen gewesen sein, von nichts anderem umgeben als von Stille und Natur.
Eine halbe Stunde später werden wir von den Brüdern abgesetzt, bedanken uns herzlich und warten auf eine Weiterfahrt. Zwei Männer halten in einem Pride.
Dazu vielleicht ein kurzer Exkurs in die iranische Autoindustrie. In Iran gibt es gefühlt nur etwa vier unterschiedliche Automodelle. Durch extrem hohe Importzölle (100%+) und weitere Gebühren versucht die Regierung erfolgreich Dividenden im Land zu lassen. 94% der Autos werden im Land produziert und verkauft. Die zwei Autobauer heißen SAIPA und IKCO und bauen hauptsächlich Fahrzeuge unter Lizenz von ausländischen Firmen nach. So gibt es hier Mercedes Transporter, Nissan Trucks und Peugeot Kleinwagen – meist unter anderen Namen und natürlich viel günstiger.
Zurück zur Geschichte. Die Männer versuchen im Kofferraum des Kleinwagens Platz für unser Gepäck zu machen. Ein Wellensittich piepst aus seinem Käfig in der Ecke. Wir geben zu verstehen, dass es kein Problem sei das Gepäck auf den Schoß zu nehmen und fahren wenig später los, 20 Kilometer bis nach Fasa.
Die Kommunikation ist kompliziert und wir werden, wie so oft, am Busbahnhof anstatt am Highway abgesetzt. Umringt von einer Menschenmenge steigen wir aus. Die Leute um uns diskutieren, gestikulieren, rufen, wuseln umher und telefonieren – es ist laut. Eine geballte Energie kommt uns entgegen, wie auf einem Basar oder der Börse unter freiem Himmel in Teheran.
Es ist eine dieser Situationen in die man einfach hinein geworfen wird. Gerade saßen wir noch in einem Auto ohne zu wissen wohin es genau fährt, das Radio dudelte vielleicht eine persische Melodie, wir schauten aus dem Fenster und dann endete die Fahrt einfach. Und jetzt? Wo sind wir hier? Und wie kommen wir hier wieder weg?
Ich zeige den Männern den Pizzakarton, auf dessen Rückseite بندر عباس (Bandar Abbas) steht und wiederhole, „Salawati – salawati, Bandar Abbas“ und klopfe verstärkend auf den Pappkarton.
Salawati oder nur salawat bedeutet soviel wie, schicke dem Propheten einen Gruß oder bete für ihn. Das arabische Wort wird im Kontext von Wohltätigkeit benutzt, tatsächlich verlangt aber niemand dass wir wirklich beten, die Leute verstehen was gemeint ist und lachen oder machen Fotos wenn sie es auf unserem Schild lesen.
Einer der Männer gibt zu verstehen das wir ihm folgen sollen. Wir schlängeln uns durch die Menschentraube bis zu einem der vielen Taxis. Der Mann redet mit dem Taxifahrer und versucht ihn wohl zu überzeugen uns kostenlos mitzunehmen. Der Taxifahrer wimmelt ab. Der nächste Versuch ist aber schon erfolgreich. Wir laden unser Gepäck ein, schließen die Türen und der Lärm von draußen wird dumpf. Ein Geruch von Duftbaum gemischt mit warmen Stoffbezügen steigt mir in die Nase.
Der Taxifahrer heißt Hussain und ist ein freundlicher Mann mittleren Alters. Wir fahren eine Weile ohne viel zu sprechen Irgendwie werden wir das Gefühl nicht los, dass er vielleicht doch am Ende Geld verlangt, er verdient damit schließlich seinen Lebensunterhalt, oder?
Inzwischen ist es früher Abend, 17 Uhr und es dämmert. Die Sonne ist noch nicht ganz untergegangen und der Himmel färbt sich in die selben sandigen Farben die hier so allgegenwärtig sind. Zu beiden Seiten der Straße stehen große Palmen und Akazien, einige Felder ziehen vorbei und weiter entfernt erhebt sich eine spitz zulaufende Bergkette. Wir sagen Hussain dass wir hier aussteigen möchten, mitten auf dem Highway, weit entfernt von den nächsten Häusern. Er wundert sich bestimmt darüber aber hält an. Wir bedanken und verabschieden uns. Eine ganze Weile steht er noch da und schaut uns nach wie wir über die Felder Richtung Berge laufen.
Das Abendlicht ist nun einem fahlen, silbernen Vollmondlicht gewichen. Wir suchen nach einem Nachtquartier. Ein paar Ziegenpfade führen eine steile Böschung herunter zu einem trockenen Flussbett. Dort unten finden wir einen guten Platz. Gemütlich wird es sicherlich nicht, die Luftmatratzen machen bei den dicken Steinen darunter auch nichts mehr besser.
Schön warm eingepackt kochen wir noch etwas und gehen bald schlafen.
Und so begann unser Jahr 2018.
Frohes Neues Jahr.