Geschichten aus dem Alltag


Wie war dass eigentlich nochmal, damals irgendwo im Nirgendwo, an der Kreuzung wo wir gerade rausgelassen wurden? In dem Land wo wir die Schrift nicht lesen und die Menschen nicht verstehen konnten. Darum soll es hier gehen!

Diese Kategorie soll jeweils einen einzelnen Tag oder eine einzelne Situation ausführlicher beschreiben, als es ein regulärer Blogartikel könnte.

Ein Versuch den Alltag zu beschreiben, der keiner ist.


Tag 14: Strecke machen

Norwegen, 07. August 2017

In einem Industriegebiet wie diesem gibt es nachts kaum Verkehr, es war ruhig, abgesehen von dem brausenden Fluss neben dem Zelt. Unser Ziel für heute ist weiter in den Norden zu kommen. Trondheim wäre ganz nett aber kaum realistisch bei knapp 450 Kilometern. Erstmal fangen wir klein an und laufen den einen Kilometer bis zur Auffahrt der Landstraße 51.

Es ist ein herrlicher Tag, die Sonne scheint, es ist warm und die wilde Kamille, die hier überall wie Unkraut wächst, verströmt ihren intensiven Geruch.

Johanna besorgt noch ein paar Stücke Gebäck bei Matkroken während ich auf die Rucksäcke aufpasse. Um kurz nach 10 Uhr stehen wir gestärkt am Rande der Ortschaft Gol, die Daumen gezückt, es kann los gehen.

Das erste Auto lässt nicht lange auf sich warten. Ein pensionierter Lehrer in einem älteren Geländewagen hält an und bietet uns eine Fahrt an. Er hat mal Deutsch unterrichtet und wir unterhalten uns ganz nett in unserer Sprache. Er besucht seinen Sohn, der etwa eine halbe Autostunde außerhalb der Stadt auf einem Campingplatz Urlaub macht.

Kaum haben wir unsere Rucksäcke aus dem Auto gehievt und uns für die Fahrt bedankt, hält bereits der nächste Wagen. Ein Geschäftsmann in einer schicken neuen Limousine. Er ist kurz angebunden weil er noch telefoniert, kann uns aber 120km bis nach Lillehammer mitnehmen. Das läuft ja richtig gut heute! Es dauert eine ganze Weile bis er sein Telefonat mit einem Geschäftspartner beendet hat und wir ins Gespräch kommen. Er ist Sport begeistert und als wir ihm erzählen dass wir aus München kommen, kennt er natürlich gleich alle Fakten über die Olympiade 1972.
Schnell wird er zu unserem lokalen Tourguide, wir besichtigen zusammen prähistorische Felsenmalereien, er zeigt uns wo die besten Blaubeeren und Moltebeeren wachsen, bekommen eine Rundtour durch die kleine Stadt Dokker und schließlich eine ausführliche Führung durch die olympische Stadt Lillehammer inklusive Besichtigung der Skisprungschanze. Inzwischen ist es Nachmittag, uns allen knurrt der Magen und Tom lädt uns spontan zu sich nach Hause ein, wo wir uns mit brun ost und lomper stärken (süßlich brauner Käse und Kartoffelfladen). Hierbei darf natürlich nicht unerwähnt bleiben, dass die schlauen Norweger den Käseschneider erfunden haben (und die Büroklammer!) worauf sie wirklich sehr stolz sind. Er fährt uns zurück ins Zentrum, an einen Platz wo er immer mal wieder Tramper sieht und tatsächlich steht dort schon ein anderes Paar und wartet auf eine Mitfahrgelegenheit.

Der ungeschriebene Tramper-Ehrenkodex besagt nun dass wir uns entweder hinter die anderen stellen sollten oder warten bis sie eine Mitfahrgelegenheit gefunden haben, um uns dann an ihren Platz zu stellen. Wir warten eine Weile auf dem Grünstreifen einer Tankstelle bis wir an der Reihe sind.

Waffeln mit Käse

Nach ein paar Minuten laufen wir zu dem nun freien Platz. Auf halber Strecke dorthin fängt uns ein voll gestopfter roter Kleinwagen, an einer Bushaltestelle, ab. Eine drahtige Frau im mittleren Alter begrüßt uns, ihre Tochter sitzt auf dem Beifahrersitz. Sie haben uns vorhin auf der Straße gesehen und beschlossen, die beiden Tramper nach ihrem Einkauf mitzunehmen, wenn sie weiterhin da stehen. Dass sie damit wahrscheinlich eben jene meinten, die soeben eine Mitfahrgelegenheit bekommen habe, verschweige ich, wahrscheinlich hätte es ja auch keinen Unterschied gemacht.
Ich darf, dank meiner Größe, auf dem Beifahrersitz Platz nehmen, Johanna und die Tochter sitzen zwischen Gepäck und Kühltruhen auf der Rückbank. Wir plaudern, stellen Fragen, erzählen, lernen uns kennen. Sie sind auf dem Weg zu ihren Verwandten, mit einem kurzen Zwischenstopp bei der älteren Tochter um ihr ein paar Sachen mitzubringen. Natürlich haben wir Zeit und kommen mit auf den kleinen Umweg. Die ältere Tochter war selbst länger per Anhalter in Südamerika unterwegs und hat die Mutter gebeten immer alle Tramper mitzunehmen die sie sieht – so als wären die Mitfahrer ihre eigenen Kinder die sich in der Welt tummeln.

Inzwischen ist es Abend aber noch immer hell draußen. Eine dünne graue Wolkendecke hat sich unter das blau des Vormittags geschoben. Manchmal nieselt es leicht.

An einem Hang gelegen, stehen viele alte Bauernhäuser aus Holz. Ein Architekt hat sie aus der Umgebung zusammen getragen und hier aufbauen lassen. Jetzt fungiert dieses kleine Idyll als Hotel, Freiluftmuseum und Architekturausstellung. Reporter der New York Times sind hier gerade untergebracht erzählt die ältere Tochter stolz, die hier arbeitet. Wir bekommen ein paar Waffeln mit brun ost, besichtigen kurz die Ausstellung, quatschen eine Weile bevor wir dann weiter fahren. Nach einer weiteren Stunde Fahrt verabschieden wir uns von der netten Mutter und ihrer Tochter, die hier abbiegen müssen. Leider kann ich mich nicht mehr an die Namen erinnern.

Es ist nun schon spät, normalerweise würden wir jetzt nach einem Zeltplatz Ausschau halten. Wir werden es noch ein paar Minuten versuchen, maximal 20 Autos, wenn keines davon uns mitnehmen möchte, dann soll es so sein. Eines der ersten Autos hält, ein schwarzer Volvo mit einer sympathischen Frau am Steuer hält.

Nach Trondheim!?

„Wohin wollt ihr?“ – „Trondheim!?“ – „Ich muss ein bisschen Platz für euch machen, aber steigt ein!“. Der Kofferraum ist voller Gepäck und zwei Hunden liegen ganz ruhig in ihrer Box. Fast jedes Gespräch, beim trampen, ist in den ersten 5-10 Minuten gleich, es werden die W-Fragen auf beiden Seiten gestellt und beantwortet. Woher kommt ihr? Wohin wollt ihr? Wie sind eure Namen? Wohin fährst du? Was machst du da?

Eine schöne, weite Landschaft zieht an uns vorbei, die im Dämmerlicht kaum Kontraste zeigt, nur ein einheitliches dunkelgrün bis grau.

Ich verstehe mich prächtig mit unser Fahrerin, sie lacht so schallend und lang dass es einfach ansteckend ist. Wie Johanna bei der Lautstärke auf dem Rücksitz einschlafen konnte versteh ich nicht. Ich erzähle ihr vom Oktoberfest-Irrsinn in München und dass im deutschen Fernsehen, bei Menschen mit starkem Dialekt, Untertitel eingeblendet werden – was sie ziemlich witzig findet. In Norwegen gibt es solch starke Dialekte nicht. Sie ist schon seit heute morgen unterwegs und fährt den ganzen Weg von Oslo bis zu den Lofoten (1300km) auf den langsamen norwegischen Autobahnen an einem Stück. Viele Norweger fahren tatsächlich für weite Distanzen mal eben nach Schweden, weil dort die Autobahnen besser sind.
Unsere Fahrerin ist Lehrerin und lebt auf einem Hausboot in Oslo, jetzt erkundet sie die Lofoten um ein potenzielles neues Zuhause für sich und ihre Hunde zu suchen. Wenn sie Erfolg hat wird sie ihr Zuhause einfach nachholen und langsam die Küste hoch schippern.

Es ist kurz nach 23 Uhr wie sie uns an einer Bushaltestelle an einer Schnellstraße am Stadtrand Trondheims raus lässt. Es regnet.

Erstmal orientieren, kurz die Karte auf dem Telefon studieren, finden nichts wirklich attraktives zum Zelten in der Umgebung. Wir fragen den jungen Mitarbeiter in einer Tankstelle ob er uns einen Tipp geben kann, leider nein. Etwas planlos und müde prüfen wir erfolglos einige kleine Grünstreifen hinter Gebäuden. Wir versuchen es bei einem Park etwas weiter entfernt. Vorbei an ein paar LKWs mit laufenden Motoren und zugezogen Fahrerkabinen geht es in die Dunkelheit. Der anhaltende Regen hat alles sehr matschig gemacht. Auf einen kleinen Hügel und über schmale Trampelpfade geht es durch das Gestrüpp. Zwei mal verliere ich den Halt und rutsche auf dem Schlamm aus. Im Schein der Stirnlampen geht es weiter, wir sind beide zu müde um noch viel zu sagen. Auf einer offenen Fläche unter einer Autobahnbrücke, die ziemlich hoch über einen Fluss dahin führt, finden wir einen passenden Platz.

Das Zelt ist gleich aufgebaut, es ist weit nach Mitternacht; jetzt nur noch schlafen.