Atlantik Teil III: Ankunft

Es ist 2:54 am Morgen. Dritte Wache. Mein Wecker versucht mit ein paar klassischen Tönen gegen das konstante dröhnen des Motors anzukommen. Wäre die Trennwand mit Schallschutz nicht, könnte ich vom Kopfende des Betts aus den Ölstand messen.
Ich starre noch ein paar Minuten mit offenen Augen ins Leere. Heute ist Tag 30 auf See und immer noch fehlt mir manchmal die Orientierung wo ich eigentlich bin. Vor ein paar Tagen saß ich aufrecht im Bett und war fest überzeugt die Navigationslichter seien defekt, bis ich realisierte dass ich nicht im Salon sondern im Bett liege und die Lichter von hier unmöglich sehen kann. Ich schiebe diese Halluzinationen mal auf den fehlenden Schlafrhythmus.
Über mir rattert die elektrische Winde, gefolgt von einem lauten Piepsen und dann – Stille. Aritz muss die Segel ausgerichtet und die Motoren ausgeschaltet haben.

Stille. Endlich.

Ein Hintergrundrauschen aus plätscherndem Fahrtwasser und der knarzenden Holzmöbel bleibt übrig.

Aufnahme aus dem Schlafzimmer.


Meine Schicht beginnt um 3:00 mit der Übergabe von Aritz. Er musste den Kurs für ein 300m + Tanker ändern, sonst nichts besonders. Auf dem Plotter, dem Herzstück der Technik an Bord, werden uns bestimmt 50 Schiffe in der Umgebung angezeigt. Wir nähern uns der Straße von Gibraltar, die wie ein Trichter den Seeverkehr auf nur noch wenige Kilometer verengt.

Europa. Im Juli 2017 haben wir diese Reise begonnen, heute, 1398 Tage später (oder etwa 4 Jahre), sind wir nur noch ein Katzensprung entfernt von dem Ort wo alles angefangen hat. Knapp 2000 km sind es von Südspanien nach München. Zumindest für kanadische Verhältnisse ist das quasi erweiterte Nachbarschaft. Auf dem Weg in den Osten haben wir nun alle Zeitzonen erlebt, bis wir gestern wieder unsere Endgeräte auf die mitteleuropäische Normalzeit gestellt haben. Irgendwie ein besonderer Moment, trotz der Banalität.

Meine Wache endet um 6:00 Uhr als Marks verschlafenes Gesicht die Treppe hochkommt. Nach einer kurzen Übergabe meinerseits, mache ich wieder die Beine lang.

Another Sail Down
If you drove for 3 weeks straight on 5 year old tires you could probably expect a flat tire or two. We blew our main sail on day 5, which we still haven’t managed to repair. Last night around 2:30am we were all summoned awake by another thrashing sail and Aritz’s yelling. Sails usually tear in a straight line but last night our “code zero” sail looked like a cat had a field day with a roll of toilet paper.

Headlamps are on and we spring into action. We need to move up and down the bow in darkness (which is strictly discouraged) to bring that puppy down and erect our smallest and last intact sail, the genoa. All goes surprisingly smooth. But in the 20 minutes it takes to complete the sail change your heart is racing. Someone falling overboard at night is the biggest risk to our lives out here. With the whole crew on deck and alert you’d have a good chance of rescue. But while you’re on your watch in the middle of the night with the crew fast asleep, your chances of being found are slim. Aritz put this very bluntly when walked through MOB (man over board) procedures. So anytime you leave the safety of the saloon or the fly bridge at night you better believe we’re wearing life jackets and holding on.

Mark, Tag 26, 18.05.21


Einige Stunden später und einigermaßen ausgeschlafen, blinzele ich aus unserer dunklen Kajüte gen strahlend, wolkenlosem Himmel. Von der Brücke aus kann man zu beiden Seiten des Schiffs bereits die ersten Siedlungen sehen. Zur rechten der afrikanische Kontinent, mit der hervorstechenden marokkanischen Großstadt Tangar, über der eine unbewegliche Smogwolke hängt. Zur linken der europäische Kontinent, mit der hier eher dünn besiedelten iberischen Küstenlinie.

Der Wind hat nachgelassen, die Motoren müssen nachhelfen. Bei Tarifa drehen wir uns alle nochmal um und winken dem Atlantik auf Wiedersehen, denn von hier an sind wir im Mittelmeer!


Es wirkt wie ein Katzensprung von hier bis Almeria. Mit dem Auto wären es nur einige Stunden Fahrt, für uns sind es nochmal strapaziöse 36 Stunden mit Gegenwind und hohen Wellen, ehe wir die Leinen zum anlegen werfen, die Motoren abschalten und tatsächlich ankommen.

Spanien empfängt uns ganz untypisch mit Regen. Dafür umso typischer mit geschlossenen Läden an Sonntagen. Beides zusammen dämpft die Stimmung ein bisschen. Aber hey, wir haben es geschafft! Wir haben den Atlantik überquert!

Ich nehme Johannas Hand und zähle von drei runter, ehe wir vom Boot auf das Festland springen. Es fühlt sich erstaunlich normal an europäischen Boden unter den Füßen zu spüren.Wahrscheinlich weil wir unseren kleinen Europa Freudentanz bereits auf den Azoren hatten.

31 Tage waren wir auf See, nur einen einzigen an Land. Wir sind froh um diese neue Erfahrung, wir haben viel gelernt und unsere Körper viel ausgehalten. Geborene Segler sind wir beide sicherlich nicht. Es war ein Abenteuer, das aus der Nähe betrachtet nicht unbedingt nach Wiederholung schreit. Irgendwann, wenn Gras – oder besser Algen, darüber gewachsen sind, will ich aber nicht ausschließen nochmal einen Ozean mit einem Segelboot zu überqueren.

– Chris