Der Farbtopf des Nordens

22 Uhr und es ist dunkel. Jetzt geht es richtig schnell, der Winter kommt. Wie die Vögel ziehen wir nun auch wieder langsam gen Süden. Aber zurück dorthin, wo wir das letzte Mal aufgehört haben.

Zwei Tage gehen wir bei Dawson wandern, dann verbringen wir Chris‘ Geburtstags auf dem „Top of the World Highway“, der von Dawson auf Bergrücken nach Alaska führt. Wir finden einen prima Platz mit Blick auf die Ogilvie Mountainrange in der Ferne und beginnen den Tag mit Feuerholz sammeln, Pfannkuchen und Cranberrymarmelade auf dem Feuer machen, lesen, Tagebuch schreiben und abends gibt es Stockbrot. Der Teig wird mit dem letzten Packerl Hefe gemacht, das noch von dem Brotverkauf in Williams, Oregon, stammt. Die Sonne scheint, nachts friert es aber, so ist es immer eine Überwindung in der Früh die Klamotten anzuziehen. Am Tag nach Chris‘ Geburtstag fahren wir dann den Highway weiter, je höher wir kommen (der höchste Punkt gerade mal auf 1200Hm) desto karger wird die Landschaften. Im Tal die tiefgrünen Nadelwälder, weiter oben wachsen nur noch Zwergbirken und andere Sträucher. Wir pflücken ein paar Blaubeeren, ein eisiger Wind weht und dann… fallen die erste Schneeflocken. Happy Birthday Chris, an seinem Geburtstag hatte er noch nie Schnee. Dicke, weiße Flocken bedecken die Fichten, die wie einsame Wächter im Nebel verschwinden, es wird ganz still und ruhig.

 

An der Grenze von Alaska drehen wir um nach Dawson und fahren etwa 200km auf dem Dempster Highway entlang. Der Dempster Highway führt auf 800km Dirt Road bis zum arktischen Meer in den North West Territories. Beim Schild „next service in 370km“ müssen wir beide lachen, wo kann man in Europa so lange fahren ohne an einer Tankstelle vorbei zu kommen?

Wir fahren durch den Tombstone Territorial Park, wo es wunderbare Wanderungen gibt. Es scheint als wäre der Herbst hier mit seinen Farbtöpfen gestolpert – die Täler wieder tiefgrün, dann intensiv rote Berghänge und schroffe Gipfel. Wau! Wir kommen nur langsam voran, auf der einen Seite die Dirt Road aber vor allem steigen wir oft aus um Fotos zu machen oder um lediglich der Stille zu lauschen. Ein viertes Mal zurück nach Dawson um die Essensvorräte aufzufüllen und nochmal das Internet zu nutzen, dann gehts in den Süden.

 

Wir nehmen nochmal Hitch Hiker mit, bis jetzt konnten wir 10 Leuten eine Weiterfahrt ermöglichen in Kanada – pay it forward.
Sehr spontan entscheiden wir uns nach Faro zu fahren. Im Touristenzentrum erfahren wir, dass es eine Farm gibt, bei der wir Gemüse kaufen können. Das machen wir und lernen dort Doug kennen, der mit seiner schweizer Frau, ein großes Grundstück besitzen, mit Gemüsegarten, Hühnern, 7 Hunden, 3 Lamas, mit denen sie im Sommer Wanderungen, machen und zwei Pferden. Doug würde gern mehr über unsere Reise hören, wir verabreden uns für den nächsten Tag. Am Abend finden wir einen guten Platz mit freier Sicht in den Norden, denn da die Nächte länger werden kann man jetzt auch Nordlichter sehen. Als wir gerade Zähneputzen schaue ich Richtung Norden und sage zu Chris „Hey, ist das ’ne Wolke?“ doch die Wolke färbt sich grün. Es dämmert gerade mal und die ersten Nordlichter sind schon sichtbar. Zwei Stunden lang sitzen wir da, gebannt in den Himmel schauend, wie die Lichter über die ganze Himmelskuppel tanzen. Anfangs sind sie grün, später nur noch milchig, aber der ganze Himmel bedeckt davon. Echt faszinierend. Vor ziemlich genau zwei Jahren waren wir mit Wolfgang und Brigitta in Finnland auf der Suche nach ihnen.

 

Der nächste Tag hält dann auch wieder viel neues bereit. Gestern Abend haben wir festgestellt, dass wir beim letzten Schlafplatz unser Trangia Schneidebrett, in das Ilja und Anna so liebevoll „A+I“ eingekerbt haben, weil sie dachten es wäre ihres und unseren Kochlöffel haben liegen lassen. 150km einfach ist das weg. Chris schlägt vor, dass wir hin trampen, vor unserem Treffen mit Doug. Gesagt, getan. 4 Autos nehmen uns mit, hin und zurück. 4 Jäger und wir Vegetarier. Eine Mutter mit Kindern, zwei Männer, einer der lustige und irre Geschichten über Grizzlys erzählt und ein First-Nation Vater mit seinen Söhnen. Hier liegt neben uns das Gewehr und der Vater sagt „Hoffentlich sehen wir einen Elch, dann könnt ihr mir helfen ihn zu zerlegen“. Zum Glück zeigt sich eine Elchmama mit Kalb uns erst als wir schon ausgestiegen sind. Aber es ist interessant mit all diesen Menschen übers Jagen zu reden. Bis auf den Grizzly Mann, selbst ein Bär von Mensch, jagen alle für Eigenbedarf. Ich hatte mit Jägern immer Schwierigkeiten. Aber jetzt denke ich mir langsam, ob es nicht verwerflicher ist, ein anonymes Tier zu verzehren, dass Zeit seines Lebens kein Tageslicht gesehen hat und sich nie frei oder nur eingeschränkt bewegen konnte. Diese Leute hier wissen zu mindest, dass für jedes Stück Wurst, Speck und jedes Steak ein Tier sein Leben lassen muss und sie dem Tier aktiv das Leben nehmen. Und dieses Tier durfte bis zu seinem letzten Atemzug sich frei bewegen, uneingeschränkt, wild. Als dann aber eines der Kinder in Bezug auf Wildhühnern mit Begeisterung in der Stimme ruft „shoot it in the head“ läuft es mir kurz kalt den Rücken runter. Später bei Doug haben wir dann ein schönes Abendessen mit zwei seiner Bekannten, die hier zum wandern sind, eine davon lebt seit 30 Jahren vegan. Herrlich, wie abwechslungsreich diese Tage sein können.
Unser Auto hat nun übriges einen Namen gefunden. Eines Abends liegen wir in den Schlafsäcken, als uns auffällt, dass das Auto so ist, wie Hermiones Bag, im letzten Harry Potter Teil, wo Hermione aus ihrem kleinen Beutelchen ein großes Zelt, Bücher, Klamotten, etc. herausholt. So sieht auch unser Auto klein aus von außen, aber ist innen ziemlich geräumig. So heißt sie nun Hermione.

Jetzt schicke ich allerliebste Grüße um die Welt, denn meine Finger glühen vom vielen tippen und wünsche euch warme Herbsttage

– Johanna