50 Shades of Blue

Wir melden uns zurück, festen Grund unter unseren Füßen habend, aus einem neuen, unbekannten Land. Genau drei Wochen haben wir gebraucht um den großen Pazifik zu überqueren. 16 Philippinos, 5 Ukrainern, ein Russe, ein Singapuri und der malayische Kapitän brachten uns sicher auf den neuen Kontinent. Dabei vergingen die 22 Tage relativ schnell. Gerade durch den regelten Tagesablauf, wie wir ihn selten zuvor hatten.

Der Tag beginnt für alle mit dem Frühstück, das es von 7.30-8.30Uhr in der Messe gibt, jeder hat dabei einen zugeordneten Sitzplatz. Es gibt eine Offiziersmesse und eine Crewmesse, wir sitzen in der Offiziersmesse mit dem Kapitän, Chiefofficer, Chiefengineer und 2.Engineer am Tisch. Es gibt Bacon, Porridge, Toast, Rührei, Nudelsuppe, Reis, etc. zu essen.

Danach besuchen wir die Brücke, notieren die Koordinaten für die spätere Nachverfolgung und schauen uns den blauen und immer wieder blauen Horizont an. Manchmal gehen wir auch noch für einige Zeit an Deck und füllen unsere Lungen mit der immer kühler werdenden Luft – in den Räumen kann man leider keine Fenster öffnen, also gibts nur hier die Portion Frischluft für uns.

Anschließend gehen wir in unser Reich. Das besteht aus einem ca. 10x5m Raum mit Sofas und Schreibtisch und einem Schlafzimmer mit Bad, etwa 5x5m groß.

Wir haben uns in weiser Voraussicht viel Beschäftigung mitgenommen, z.B. Serien und Filme sowie Bücher. Auch haben wir haufenweise Sachen (v.a. Kleidung), die an kleinen oder großen Stellen genäht und repariert werden müssen. Ich mache all meine Dreads und hole mein Tagebuch nach, mit dem ich über einen Monat im Rückstand war. Chris sortiert fleißig Reisefotos aus und verwirklicht ein paar Projekte am PC, die er sich vorgenommen hat.

 

Dann geht es auch schon weiter mit dem Mittagessen von 11.30Uhr bis 12.30Uhr.. Der nette philippinische Koch war anfangs etwas überrascht von unserer vegetarischen Ernährung aber bereitet uns dann jedes Mal eine große Portion Leckereien zu: Salat mit Mangostreifen, Nudeln mit diversen Soßen, Reis mit Gemüse, Ofenkartoffeln, etc. Es ist so viel, dass Chris bei mir immer gut mithilft… vielleicht kommen daher die 2-3Kilo Gewicht, die er wieder hat?

Anschließend folgt meistens ein Kicker-/Tischtennis- oder Billiardtournament, wobei letzteres nur anfangs klappt, denn nach Vietnam haben wir teilweise ziemlich Wellengang.

Mehrere Male wird unsere Route verändert, weil wir Stürmen ausweichen, in deren Zentrum es bis zu 12m hohe Wellen gibt. Wir erleben nur 3-4m hohe Wellen und das reicht uns bereits. Teilweise kann man nicht schlafen, weil man im Bett von rechts nach links rollt, auf der Seite schlafen klappt da gar nicht, wir werden zu Bauchschläfern. Auch das Nutellaglas rutscht beim Frühstück dann fröhlich den Tisch ab. Aber wir erleben vor allem Tage mit Sonnenschein und nur mäßigem Wellengang.

Die Crew nimmt sich auch die Zeit uns verschiedene Teile des Schiffs zu zeigen, zum Beispiel werden wir auf dem Deck einmal um das komplette Schiff herumgeführt (es geht 230m nach vorne und 90m nach hinten), wir dürfen ganz vorne am Schiffsbug stehen während uns die kalte Luft des Pazifiks um die Ohren weht. Ach was ist das ein schönes Gefühl mal wieder kalte Wangen zu haben, nach einem Jahr im Süden. Anderntags zeigt uns der Koch die riesigen Vorrats- und Kühlkammern mit all den Fleisch- und Gemüsevorräten, die für 2-4 Wochen ausreichen.

Der ukrainische Elektroingenieur zeigt uns an einem weiteren Tag den Motorraum. Mit unserem Sicherheitsanzug, Sicherheitsschuhe, Helm und Lärmschutzhörern ausgerüstet, damit den wertvollen Passagieren auch nichts passiert, begeben wir uns praktisch in den Bauch des Ungeheuers… es ist laut und warm, über viele Treppenstufen und Etagen geht es bis nach ganz unten, wo es zum Schiffsheck hin ganz eng wird und überall kommen dicke und dünne Rohre aus dem Boden oder gehen in die Decke. Der Motor ist riesengroß, 3 Etagen hoch, mit 10 Zylindern in denen man baden könnte, und erzeugen eine eindrückliche Vibration, die man noch oben auf der Brücke spürt. Das Schiff verbraucht am Tag 140-160 TONNEN Schiffsdiesel… 140 Tonnen täglich um 4500 Container und das Gesamtgewicht von über 120.000 Tonnen einmal über den Pazifik zu bringen. Wahnsinn. Vollgetankt werden muss nur einmal in Singapur, dann erst wieder in Los Angeles.

 

Um 17.00 bis 18.30Uhr gibt es wieder reichliches Abendessen, auf unsere extra gekochten Speisen fallen von Zeit zu Zeit neidische Seitenblicke von unseren Sitznachbarn.

Vor allem mit Alex, dem obersten Offizier, aus der Ukraine sitzen wir oft lange am Tisch und reden viel über Politik, die Situation in Deutschland oder der Ukraine, der EU oder das Leben auf dem Schiff. Viele Philippinos arbeiten bis zu 10 Monate auf dem Schiff, sind dann 2 Monate daheim um dann wieder 10 Monate non-stop zu arbeiten. Die Offiziere arbeiten meistens nur 4-5 Monate am Stück und sind die gleiche Zeit daheim. Montag bis Samstag wird gearbeitet, Sonntags wird das Schiff geputzt, jeder hat seine Aufgaben. Dazu kommt, dass man, außer in seinem Zimmer, nie allein ist, noch dass fast alle zwei Tage die Zeit um eine Stunde nach vorne gestellt wird (auf dem Weg Richtung Osten zumindest) und d.h. eine Stunde weniger Schlaf, bei eh schon teilweise schwierigen Schlafbedingungen. Trotzdem ist die ganze Crew immer total nett und uns werden viele Sachen ganz selbstverständlich erklärt. Wir dürfen jeder Zeit auf die Brücke, auch beim An- und Ablegen in Thailand und Vietnam, dabei nimmt sich der Kapitän sogar die Zeit uns verschiedene Vorgänge zu erklären, während er immer wieder einen Befehl erteilt oder weitergibt. Das Seefahrerklitschee, von den betrunkenen, raufsüchtigen Männern, die an jedem Hafen gleich das Bordell aufsuchen, hat sich also auf dieser Reise gar nicht bestätigt.

 

 

Es ist so ein ganz anderes Leben auf dem Schiff, als man einen gewöhnlichen Arbeitsalltag bei uns kennt. Man arbeitet und lebt so intensiv miteinander hier und nachdem man daheim war, kommt man auf ein neues Schiff mit komplett neuer Besatzung und muss sich an alles neu anpassen. Wir bewundern all die Leute hier, die ihren Schiffsalltag, weit weg von Zuhause und der Familie, meistern und oftmals viel Verantwortung tragen.

Die Zeitverschiebung beschert uns, dass wir den 07.02. für 48 Stunden erleben, als wir die internationale Zeitgrenze überschreiten… so skurril und von Menschenhand gemacht. Jetzt sind wir auf einmal im Westen unserer Karten und haben die halbe Welt umrundet, das ist ein tolles Gefühl.

Nach drei Wochen Ruhe und langsamer Fortbewegung kribbeln jetzt langsam meine Füße, ich freue mich auf das neue, spannende Kapitel USA und Kanada, auf die neue Art der Fortbewegung, auf die Wälder, vier Jahreszeiten, auf die neuen Menschen, die wir kennen lernen werden und die Erlebnisse die auf uns warten.

Liebe Grüße aus dem Westen an die Welt und wir melden uns von unseren Drahteseln wieder, die wir erst noch einfangen müssen.

– Johanna